Mittwoch, 6. Januar 2016

Besuch aus der City oder Weil wir Kieler sind - Kolumne

Von Sturmfrisuren und Sommersprossen
(Brief an eine ehemalige Freundin aus Hamburg)


Liebe Sarah,
ich fiel aus allen Wolken, als ich dich plötzlich wiedersah. Das Leben als Stadtmensch scheint dir gut zu bekommen. Gertenschlank, elegant gekleidet (mit ein bisschen zu viel Make-up vielleicht) standest du vor mir. Der frische Wind der Förde wurde von deinem exklusiven und schweren Duft nach Maiglöckchen verdrängt und legte sich fortan als Geschmackshemmer auf meine Mund- und Nasenschleimhäute.
Damit war für dich natürlich der Teil erledigt, in dem die meisten Menschen tief einatmen und erfreut ausrufen: „Ich habe ganz vergessen wie gut die Ostsee riecht! Genau wie früher!“

Und für mich war der Teil erledigt, in dem ich genüsslich mit Dir ein Eis in Laboe oder Strande schlecken wollte. Geschmack wäre gleich „zero“ gewesen und du hattest Angst nach dem Besuch nicht mehr in „size zero“ zu passen.
Also nix mit Beine baumeln am Steg oder abhängen am Strand.
War ja auch zu dumm, dass du deine Prada Flip Flops zu Hause vergessen hattest. Mit den Manolos wackelt es sich natürlich sehr ungrazil über den weichen Sand. Es war bestimmt die richtige Entscheidung in einem der Cafés an der Kiellinie Platz zu nehmen.
Nö ehrlich, die Sonne strahlte vom Himmel. Der Wind wirbelte kleine Wattewölkchen über die Kieler Förde. Die Temperatur stieg auf unglaubliche 20 Grad. Wusstest du, dass so ein Tag ein Geschenk ist. Scheinbar nicht, denn wir setzten uns rein.
Obwohl wir wirklich versucht haben auf der Terrasse unseren Latte Macchiato Light zu trinken. Wenn möglich mit dem Gesicht zur Sonne. Dafür hättest du aber mit dem Rücken zum Wind sitzen müssen. Was zur Folge hatte, dass dieser deine Frisur, durcheinander brachte und es brettgleich abstehen ließ.
Du hattest Recht - das sah ziemlich bescheuert aus. Haarspray kann man hier an der Kieler Förde getrost zu Hause lassen. Es war klug die Fahrt mit dem Fördedampfer von der Liste zu streichen, obwohl man sich unter Deck hätte aufhalten können. Auch wenn ich das bisher selten beobachtet habe und dort eigentlich nie jemand sitzt. Also kein Kieler jedenfalls.
Eigentlich dachte ich noch an einen kleinen Abendtörn auf einem Segler, bevor du unsere schöne Fördestadt wieder verlassen musst. Aber das war auch nur so ein Vorschlag.
Ich seh’ noch wie der Fördedampfer ohne uns ablegte. Lachende Gesichter mit zerzausten Haaren und Sommersprossen winkten uns zu. Glückliche Frohnaturen!
Ich hoffe, dass dein dringender Anruf nichts Ernstes war. Wirklich zu schade, dass dein Besuch so plötzlich endete. Ich bin nach deiner Abreise mit einer Flasche Prosecco an den Strand und habe den Kitern zugesehen. In jedem Fall dufteten die nach Salz und Meer und ich konnte wieder frei atmen. Wenn da einer je nach Maiglöckchen riechen sollte gibt‘s Haue - das versprech‘ ich Dir.

Bis bald mal
Deine Karen

(abgedruckt im MAGZ Extrablatt - Sommer 2015)

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